Arbeitnehmer oder Selbstständiger? Beträchtliche Risiken dank unklarer Abgrenzung

von | 9. Februar 2017 | Allgemein, Compliance & Unternehmenssicherheit, Strafverteidigung

Im täglichen Geschäftsbetrieb greifen Unternehmen häufig nicht (nur) auf fest angestellte Arbeitnehmer zurück, sondern erfüllen Aufträge (auch) mithilfe selbständiger Subunternehmer. Die Flexibilität dieses Modells wird von beiden Seiten geschätzt: Die Selbstständigen, oft klassische Nebenjobber, werden in keine ungewollte feste berufliche Bindung gezwungen. Der Unternehmer wiederum kann seinem Auftraggeber erst aufgrund der Ersparnis von Lohnnebenkosten konkurrenzfähige Preise anbieten. Dabei fällt die Abgrenzung zwischen selbständiger und abhängiger Tätigkeit im Einzelfall oft schwer, weil das typische Bild des Selbständigen in seiner überkommenen Reinform immer seltener vorkommt. Die zur Unterscheidung häufig angewandten starren Schemata helfen vor dem Hintergrund des modernen Wirtschaftslebens häufig nicht weiter. Dabei birgt die unklare und nicht selten rechtlich angreifbare Abgrenzung zwischen (scheinselbstständigem) Arbeitnehmer und (echtem) Selbständigen erhebliche Risiken für beide Seiten.

Seit einiger Zeit werden Vertragsverhältnisse bzw. Geschäftsmodelle mit Auftragnehmern vermehrt durch Staatsanwaltschaften, Sozialversicherungsträger sowie Zoll- und Steuerbehörden dahingehend überprüft, ob Selbstständige wirklich selbstständig waren oder faktisch eher einem Arbeitnehmer gleichstanden (sog. Scheinselbstständigkeit). Ist Letzteres der Fall, wird die Vergütung des Selbstständigen rückwirkend wie der Arbeitnehmerbruttolohn eines abhängig Beschäftigten behandelt – mit allen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen. Beiden Seiten drohen dann erhebliche Nachzahlungspflichten und Rückabwicklungsprobleme. Hinzu kommt das strafrechtliche Risiko: Wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge droht vornehmlich dem Auftraggeber eine empfindliche Geld- oder Freiheitsstrafe (§ 266a StGB).

Leider ist die Rechtslage alles andere als eindeutig, was u.a. daran liegt, dass unterschiedliche Rechtsgebiete ineinandergreifen und verschiedene Gerichtsbarkeiten betroffen sind. So richtet sich die Abgrenzung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (vgl. z.B. Urteil vom 05.08.2015, Az. 2 StR 172/15) nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt. Ausschlaggebend ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Beschäftigungsverhältnisses, die anhand einer Vielzahl von Indizien vorgenommen werden muss:

Vertragliche Gestaltung: Eine wichtige Rolle spielt die vertragliche Gestaltung. Hieraus ist zu entnehmen, ob die Parteien eine selbstständige oder abhängige Beschäftigung wollten. Das gilt jedoch nur dann, wenn die vertraglichen Vereinbarungen auch umgesetzt werden. Besteht eine Diskrepanz, kommt es ausschließlich auf die tatsächlich gelebte Zusammenarbeit an. Insofern gilt für die Praxis, dass durch geschickte Ausgestaltung der „Papierlage“ zwar die Weichen gestellt und für ein Mehr an Klarheit gesorgt werden kann, Verträge aber auch konsequent umgesetzt werden müssen.

Betriebliche Eingliederung: Weiter kann entscheidend sein, ob und inwieweit der Auftragnehmer in die betrieblichen Strukturen und Abläufe des Auftraggebers eingegliedert ist. Dabei zählt z.B., ob dem Auftragnehmer ein Büro oder Schreibtisch zur Verfügung gestellt wird oder er eine eigene Betriebsstätte unterhält.

Weisungsgebundenheit: Hier kommt es darauf an, ob und inwieweit der Auftragnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer und Ausgestaltung seiner Tätigkeit frei ist oder entsprechenden Weisungen des Auftraggebers unterliegt. Vereinfacht gesagt: Der klassische Arbeitnehmer unterliegt Präsenzpflichten, bekommt Pausenzeiten vorgegeben, muss sich Urlaub genehmigen lassen und so arbeiten, wie es der Chef vorgibt. Der klassische Selbstständige kann hingegen auch mal ausschlafen, macht Pausen und Urlaub, wann er will und arbeitet so, wie er es für richtig hält.

Unternehmerisches Risiko: Hier geht es darum, ob der Auftragnehmer das wirtschaftliche Risiko für den Ausfall seiner Verdienstmöglichkeit selbst trägt. Für den klassischen Arbeitnehmer gilt dies nämlich nicht: Er profitiert von bezahltem Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bekommt auch bei schlechter Auftragslage sein Gehalt. Der Selbstständige hingegen bleibt bei Krankheit sowie Urlaub ohne Bezahlung und verdient nichts, wenn er keine Aufträge erhält bzw. sie nicht annehmen kann oder – was nur ihm freisteht – nicht annehmen will.

Vorsicht: Immer wieder wird das Unternehmerrisiko im Rahmen der Abwägung mit dem Ausfallrisiko des Vergütungsanspruchs vermischt. So ist z.B. nicht selten zu lesen, jemand sei scheinselbstständig, weil er sich wegen seiner Bezahlung nicht zu sorgen brauche und, wie ein Arbeitnehmer, stets pünktlich bezahlt werde. Diese Überlegung ist deplatziert. Entscheidend ist nicht das Risiko, hinsichtlich der Durchsetzbarkeit des Vergütungsanspruchs auszufallen, sondern ob und inwieweit das Bestehen eines Vergütungsanspruchs der Einflussnahme des Tätigen zugänglich ist bzw. ob dieser das wirtschaftliche Risiko des Ausfalls der eigenen Arbeitskraft trägt.

Weiterhin ist zu fragen, ob der Auftragnehmer eigenen Haftungsrisiken unterliegt und deshalb über Versicherungen verfügt (oder verfügen müsste), die er selbst bezahlt. Auch müssen Selbstständige im Gegensatz zu Arbeitnehmern normalerweise selbst dafür sorgen (und zahlen), dass sämtliche rechtlichen Voraussetzungen für ihre Tätigkeit – Lizenzen, Konzessionen usw. – vorliegen.

Formelle Kriterien: Nicht zuletzt haben auch formelle Kriterien indizielle Bedeutung. So sprechen z.B. ein Gewerbeschein, eine eigene Betriebs- bzw. Steuernummer und – anstelle einer monatlichen (Lohn-)Abrechnung – eine Aufmaß- oder stundenbezogene Rechnungslegung für „echte“ Selbstständigkeit.

Dennoch ist die Aussagekraft dieser formellen Kriterien beschränkt, schon deshalb, weil es ansonsten allzu einfach wäre, Scheinselbstständigkeit zu verschleiern. Außerdem gibt es nicht wenige formelle Kriterien, die argumentativ in beide Richtungen funktionieren. So ist mitunter zu lesen, Auftragnehmer seien scheinselbstständig, weil gegenüber dem Auftraggeber derart detaillierte Berichtspflichten bestünden, wie sie sonst nur ein abhängig Beschäftigter seinem Arbeitgeber schulde. Solche Argumente sind abwegig, weil natürlich auch Selbstständige – schon für die Rechnungslegung – detaillierte Rechenschaft über ihre Arbeit abzulegen haben.

Ebenso unbrauchbar ist häufig die Frage nach dem Einbringen eigener Arbeitsmittel wie Fahrzeuge, Werkzeuge, Kleidung usw. Natürlich spricht ein solcher Eigenaufwand für Selbstständigkeit. Andererseits muss nicht schon deshalb, weil z.B. Fahrzeuge gestellt werden, Scheinselbstständigkeit vorliegen. Dies kann sich genauso aus der Natur des Auftrags ergeben. Werden z.B. für einen Großkunden Fahrzeuge präsentiert und Fahrdienstleistungen erbracht, wäre es für die Auftragserfüllung wenig förderlich, wenn die Fahrer mit eigenen Fahrzeugen anrückten. Wenn in diesen Fällen die Fahrzeuge gestellt werden, entspringt dies schlicht der Natur des Auftrags und hat – wenn überhaupt – wenig mit der Frage zu tun, ob die Fahrer wirklich selbstständig sind.

Es gibt also immer wieder Fälle, in denen klassische Abgrenzungskriterien wenig aussagekräftig oder gar nutzlos sind. Das gilt auch für die Weisungsgebundenheit. So sind mehr oder weniger starre Vorgaben, denen Auftragnehmer unterliegen, oft nicht der fraglichen Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern schlicht dem Auftrag selbst bzw. der Natur der Sache geschuldet. Ein selbstständiger Maler wird nicht dadurch Arbeitnehmer, dass ihm sein Auftraggeber vorgibt, wo und in welcher Farbe gestrichen wird, wann mit der Arbeit begonnen wird und wann sie fertig zu sein hat. Müssen Arbeiten mit dem laufenden Geschäftsbetrieb abgestimmt werden, könnten dem Selbstständigen mitunter sogar genaue Arbeitszeiten vorgegeben werden. Müssen Fahrer eine konkrete Veranstaltung bedienen oder Piloten einen bestimmten Flug abwickeln, sind Einsatzort und -zeit denklogisch vorgegeben. Derartiges hat freilich nichts mit einer für Scheinselbstständigkeit sprechenden Weisungsgebundenheit des Auftragnehmers zu tun. Denn dieser könnte – und darin liegt der Unterschied – im Gegensatz zum Arbeitnehmer jeden Auftrag auch ablehnen.

Wichtig sind schließlich zwei Dinge: Zum einen sind die geläufigen Abgrenzungskriterien nicht abschließend. Stets können je nach Einzelfall weitere Gesichtspunkte hinzutreten bzw. andere an Bedeutung verlieren. Zum anderen spricht niemals ein Indiz allein klar für abhängige oder selbstständige Tätigkeit. Erforderlich ist immer eine einzelfallabhängige Gesamtschau. Dabei divergieren die Einschätzungen von Gerichten und Behörden oft nicht nur in grundsätzlichen Fragen, sondern gerade auch im Einzelfall. Darum ist es durchaus ein Fortschritt, dass die Rechtsprechung seit neuestem stärker auf den Willen der Beteiligten abstellt (z.B. BGH, Beschluss vom 24.06.2015, Az. 1 StR 76/15). So soll es in unklaren Fällen künftig maßgeblich sein, welche Art von Beschäftigungsverhältnis die Parteien begründen wollten.

Trotzdem werden Betroffene angesichts der Unschärfe – vor allem bei risikoträchtigen Geschäftsmodellen – weiter nicht umhin kommen, sich der Problematik anzunehmen und „gefährdete“ Beschäftigungsverhältnisse einer genauen rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Anders lässt sich den ansonsten beträchtlichen Risiken kaum begegnen.