
Fahrverbot als Nebenstrafe – Praktische Allzweckwaffe oder fraglicher Aktionismus?
Das Bundeskabinett hat am 21.12.2016 einen Gesetzesentwurf beschlossen, welcher u.a. die Einführung des Fahrverbots als generelle Nebenstrafe vorsieht. Künftig sollen die Gerichte Fahrverbote also auch bei Delikten ohne jeden Verkehrsbezug als zusätzliche Sanktion neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe verhängen können.
Nach der bisherigen Rechtslage ist die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe nur bei Straftaten möglich, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden (§ 44 StGB). Anders gesagt: Ein Fahrverbot kommt nur bei typischen Verkehrsdelikten und solchen Straftaten in Betracht, die im konkreten Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen werden.
Das Fahrverbot erfasst bisher also die typische Trunkenheitsfahrt ebenso wie etwa das Handeln mit Betäubungsmitteln unter Verwendung eines Kraftfahrzeugs. Anders als die Entziehung der Fahrerlaubnis dient es dabei nicht der präventiven Gefahrenabwehr. Es soll also nicht denjenigen, der sich durch Begehung einer bestimmten Straftat als charakterlich ungeeignet erwiesen hat, vom Fahren abhalten. Stattdessen ist das Fahrverbot – so das Bundesverfassungsgericht – als repressive Warnungs- und Besinnungsstrafe für nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer gedacht. Dieser Zusammenhang soll nun aufgegeben werden.
Denn nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung soll es den Gerichten bald möglich sein, ein Fahrverbot für jede Straftat zu verhängen. Es soll künftig also nicht mehr nur dem leichtsinnigen Verkehrsteilnehmer, sondern potentiell jedem Straftäter zur Besinnung dienen. Zudem soll die maximale Dauer des Fahrverbots von drei auf sechs Monate erhöht werden. Schließlich ist die Möglichkeit vorgesehen, künftig durch Verhängung eines Fahrverbots die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung zu ermöglichen. Ins Gefängnis soll dann u.U. also derjenige nicht müssen, dem neben der Bewährungsstrafe noch für ein paar Monate das Fahren verboten werden kann.
Ziel der geplanten Neuregelung ist, bei der Sanktionsfindung mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Laut Bundesjustizminister Heiko Maas soll die Öffnung des Fahrverbots für alle Straftaten den Strafgerichten ein zusätzliches Mittel an die Hand geben, um „zielgenau, spürbar und schuldangemessen“ auf den Täter einzuwirken.
Nach seiner Begründung zielt der Gesetzesentwurf dabei vor allem auf die Sanktionierung unterer und mittlerer Kriminalität ab. Die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen komme in diesen Fällen gemäß § 47 StGB regelmäßig nur in Ausnahmefällen in Betracht. Deshalb verbleibe den Gerichten, sofern die Straftat keinen Verkehrsbezug habe, nur der Rückgriff auf eine Geldstrafe. Diese allein, so ist dem Entwurf zu entnehmen, sei für eine individuell angemessene Bestrafung oft nicht ausreichend.
In solchen Konstellationen solle das Fahrverbot eine wirkungsvollere Sanktion darstellen. So sei „die Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu führen, weiterhin Ausdruck individueller Mobilität und von großem Wert für die Gestaltung des Arbeits- und Privatlebens“, weshalb sich das Fahrverbot als spürbares empfindliches Übel auswirke. Außerdem seien für den Täter damit zusätzliche Folgen für die berufliche und private Lebensgestaltung sowie negative Auswirkungen auf die Vermögenssituation verbunden, wenn z.B. ein Ersatzfahrer eingestellt oder auf Taxis zurückgegriffen werden müsse und Verdienstmöglichkeiten nicht wahrgenommen werden könnten. Das Fahrverbot könne somit eine Freiheitsbeschränkung moderner Art darstellen.
Bei alledem dürfte kaum überraschen, dass verschiedene Fachverbände die geplante Neuerung strikt ablehnen. So sieht z.B. der Deutsche Anwaltverein (DAV) – durchaus zu Recht – einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. Strafe soll grundsätzlich geeignet sein, jedermann gleichermaßen zu treffen. Durch Einführung des Fahrverbots als generelle Nebenstrafe werde aber eine Sonderstrafe für Verkehrsteilnehmer bzw. Fahrerlaubnisinhaber geschaffen. Straftäter ohne Fahrerlaubnis könnten von der Möglichkeit, sich durch ein Fahrverbot die Bewährung zu „verdienen“, nämlich nicht profitieren. Und solche Täter, die zwar eine Fahrerlaubnis besitzen, diese aber faktisch nicht nutzen, würden sich durch ein Fahrverbot die Bewährung allzu billig „erkaufen“.
Daran zeigt sich, dass die generelle Möglichkeit eines Fahrverbots als Nebenstrafe zwar theoretisch Gestaltungspotential bieten mag, aber auch kaum handhabbare praktische Umsetzungsschwierigkeiten mit sich brächte. So wird ein Fahrverbot denjenigen, der auf dem Land lebt und auf ein Kraftfahrzeug als Fortbewegungsmittel angewiesen ist, wesentlich schwerer treffen als einen Großstädter, der den öffentlichen Personennahverkehr nutzen kann. Massive und kaum abwägbare Auswirkungen sind zudem bei Berufskraftfahrern zu erwarten, für die ein Fahrverbot regelmäßig existenzbedrohend sein dürfte. Darüber hinaus könnten wohlsituierte Täter ein Fahrverbot besser als andere durch Einstellung eines Fahrers oder Benutzung von Taxis abfedern.
Man halte sich folgendes plakatives Beispiel vor Augen: Der Täter einer Beleidigung oder einfachen Körperverletzung soll künftig neben einer Geldstrafe – angeblich „zielgenau, spürbar und schuldangemessen“ – durch Verhängung eines Fahrverbots bestraft werden. Lebt er in einer Großstadt, verfügt er über ein gutes Einkommen, hat er Zugang zum öffentlichen Nahverkehr, einen mobilen Lebenspartner, nahe Einkaufsmöglichkeiten und einen Bürojob – ein Fahrverbot würde jegliche Wirkung verfehlen. Lebt der Täter aber auf dem Land, ist er alleinerziehend, mit geringerem Einkommen und auch beruflich auf seine Mobilität angewiesen – ein mehrmonatiges Fahrverbot wäre geradezu fatal.
Die generalpräventive – also „abschreckende“ – Wirkung eines Fahrverbots als genereller Nebenstrafe ist laut DAV-Präsident Schellenberg empirisch unbelegt. Und auch als spezialpräventives Mittel zur persönlichen Besserung dürften Sinn und Unsinn des Fahrverbots von einer Vielzahl unüberschaubarer Einzelheiten in der Persönlichkeit des Delinquenten abhängen, die die Gerichte in jedem Einzelfall kaum zu ergründen bereit und in der Lage sein werden.
Die geplante Neuregelung, sollte sie umgesetzt werden, birgt im Einzelfall also eine erhebliche Gefahr von Ungerechtigkeiten, die es für den Betroffenen künftig abzuwägen gilt. Gerade bei kleineren Delikten dürften die zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten der Strafgerichte für den Einzelnen das Risiko erhöhen, in den Mühlen der Justiz zermahlen zu werden. Demgegenüber wird das Erreichen eines im Einzelfall gerechten Ergebnisses mehr denn je von einer sorgfältigen Gesamtschau auf Tat und Täter abhängen, auf die es vor Gericht hinzuwirken gilt. Insofern könnte es sich bald erst recht empfehlen, auch in vermeintlich kleineren Fällen die frühzeitige Hilfe eines versierten Strafverteidigers zu suchen, zumal eine Ausweitung gerichtlicher Handlungs- und Sanktionsmöglichkeiten immer auch Potential für wirkungsvolle Verteidigung bietet.