Erfundenes Krebsleiden – Bloggerin zu hoher Geldstrafe verurteilt

von | 4. Januar 2018 | Allgemein, Strafverteidigung

Es klang wie ein tragisches Märchen: Eine junge Australierin litt an Krebs. Über zahlreiche Kanäle ließ sie andere an ihrem Leiden teilhaben. Ihr offener Umgang mit der Erkrankung und ihre Stärke ermutigten Tausende. Dann das Wunder: Die Frau besiegte die Krankheit, vorgeblich nur mithilfe von Naturmedizin und spezieller Ernährung. Was liegt da näher, als solch eine wundersame Geschichte noch weiter zu verbreiten? Das Buch der Bloggerin wurde ein Bestseller, der sie neben einer eigens entwickelten App reich machte. Dann der Knall: Es stellte sich heraus, dass die Krebserkrankung und die Geschichte über die wundersame Heilung frei erfunden waren. Ein australisches Gericht verurteilte die Bloggerin zu einer hohen Geldstrafe. Sicherlich ein emotionsgeladener und aufsehenerregender Fall. Doch wie würde ein deutsches Strafgericht entscheiden?

Erfundene Krankheit erfolgreich vermarktet

Die Geschichte, an der eine 26-jährige Australierin die Welt teilhaben ließ, klang fantastisch: Mit 20 Jahren erkrankte die Frau an einem Hirntumor. Laut ärztlicher Diagnose hatte sie noch vier Monate zu leben. Eine mehrwöchige Chemotherapie und weitere Behandlungen blieben erfolglos. Deshalb setzte die Frau auf ayurvedische Medizin und eine Sauerstofftherapie. Auch ihre Ernährung stellte sie um, verzichtete auf Gluten und Zucker. Mit Erfolg: Der von der Schulmedizin bereits totgesagten jungen Frau gelang es, den Krebs zu besiegen.

Ihre Krankheits- und Heilungsgeschichte vermarktete die Australierin erfolgreich in den sozialen Medien: In ihrem Blog „The Whole Pantry“ („Die ganze Speisekammer“) erzählte sie ihre Geschichte. Sie diskutierte, teilte und inspirierte. So hieß es beispielsweise in einem ihrer Beiträge (übersetzt): „Ich habe einen ernsten und bösartigen Gehirntumor in den letzten Jahren nur mit Naturmedizin, Gerson-Therapie und Ernährung geheilt. Bei mir hat es funktioniert und ich bin dankbar, hier zu sein und diese Reise mit über 70.000 Menschen auf der ganzen Welt teilen zu können.“

Schnell erreichte die Bloggerin ein großes Publikum. Ihre wundersame Geschichte ging um die Welt, und die junge Frau gewann zunehmend an Prominenz. Mittels einer eigenen App versorgte sie ihre Follower mit Rezepten für gluten- und zuckerfreie Gerichte. Außerdem verfasste sie ein Buch, das schnell zum Bestseller wurde. Auf diese Weise erwirtschaftete die junge Frau innerhalb von nur zwei Jahren etwa 420.000,00 australische Dollar (ca. 300.000,00 Euro). Den Großteil ihrer Einnahmen spendete sie angeblich für wohltätige Zwecke.

Tatsächlich spendete die Frau nur etwa 7.000,00 Euro. Den Rest behielt sie für sich. Noch schlimmer: In Wahrheit war die Bloggerin nie an Krebs erkrankt. Stattdessen war alles – sowohl die Krankheitsgeschichte als auch die wundersame Heilung – frei erfunden. Nachdem die Sache aufgeflogen war und die Frau ihre Lüge hatte eingestehen müssen, verurteilte sie ein australisches Gericht im Jahr 2017 wegen vorsätzlicher Täuschung zu einer Geldstrafe in Höhe von (umgerechnet) etwa 275.000,00 Euro.

Strafbarkeit nach deutschem Recht?

Keine Frage, die Masche der jungen Australierin war niederträchtig und perfide. Die Follower ihres Blogs, die Käufer ihres Buches und die Nutzer ihrer App fühlten sich betrogen – aus gutem Grund. Doch ist dieses Gefühl auch im Rechtssinne „richtig“? Könnte die Bloggerin, vorausgesetzt der Fall spielte in Deutschland, von einem deutschen Strafgericht wegen Betruges verurteilt werden?

Die Straftat des Betruges ist in § 263 StGB geregelt. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter über Tatsachen täuscht, sodass der Getäuschte eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung vornimmt, wodurch er oder ein Dritter einen Vermögensschaden erleidet.

Ein möglicher Betrug käme im Fall der Australierin in erster Linie gegenüber ihren Kunden, also den Käufern des Buches und Nutzern der App, in Betracht. Nun mag es zwar Menschen gegeben haben, die das Buch und die App – ungeachtet der Hintergrundgeschichte – nur wegen der Rezepte gekauft haben. Allerdings warb die Bloggerin explizit damit, ihr angebliches Krebsleiden allein mithilfe der dargestellten Ernährungs- und Lebensweise besiegt zu haben. Darin dürfte das entscheidende Kaufkriterium für einen Großteil der Kunden gelegen haben. Indes war die Leidens- und Heilungsgeschichte erfunden. Die Australierin hat also eine Vielzahl von Menschen über Tatsachen getäuscht und dadurch einen Irrtum hervorgerufen. Dieser Irrtum hat die Kunden bzw. Nutzer zum Kauf des Buches bzw. der App bewegt, worin die erforderliche Vermögenverfügung zu sehen ist.

Problematisch ist aber die Frage – und hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer – ob die Getäuschten einen Betrugsschaden erlitten haben. Der Betrug ist ein Vermögensdelikt, d.h. strafbarkeitsbegründend ist nicht die Täuschung, sondern der Eintritt eines Vermögensschadens. Die Ermittlung dieses Schadens ist allerdings seit jeher umstritten und Gegenstand einer komplexen Rechtsprechung. Vereinfacht gesagt, ist ein Vermögensschaden dann gegeben, wenn der Gesamtwert des relevanten Vermögens – wirtschaftlich betrachtet – durch den Betrug gemindert wird.

In dieser streng wirtschaftlichen Betrachtung liegt das Problem: Denn die Käufer bzw. Nutzer haben das Buch und die App ja erhalten. Ein Gegenwert für den durchaus marktüblichen Kaufpreis war also vorhanden. Und natürlich enthielten die Produkte auch den versprochenen Inhalt, insbesondere die beworbenen Rezepte. Sähe man das Buch und die App also ausschließlich unter dem Aspekt der Nutzbarkeit, hätte jeder Kunde für sein Geld eine adäquate Gegenleistung erhalten. Ein Vermögensschaden läge nicht vor.

Allerdings, so könnte ein durchaus berechtigter Einwand lauten, ignoriert diese Sichtweise die Kaufmotivation der Getäuschten. Die meisten Menschen haben Buch und App nämlich nicht gekauft, weil es woanders keine besseren Beschreibungen einer gesunden Lebensweise oder keine „geschmackvolleren“ Rezepte gegeben hätte, sondern weil sie der Autorin geglaubt haben, dass diese damit den Krebs besiegt habe. Nun führt solch ein Irrtum über das Kaufmotiv, selbst wenn er auf einer infamen Täuschung beruht, aber nicht zu einer Strafbarkeit wegen Betruges. Denn die Vorschrift schützt – und damit schließt sich der Kreis – eben nur das wirtschaftliche Vermögen.

Hintergrund ist, dass emotionale Beeinflussungen von Käufern im Geschäftsleben allgemein üblich sind. Ein Beispiel: Manche hoch zuckerhaltige Süßigkeit besteht angeblich aus dem besten frischer Milch. Manch fettreicher Nuss-Nougat-Aufstrich soll Bestandteil eines ausgewogenen Frühstücks sein. Sind diese kleinen Irreführungen, mit denen wir uns doch im Grunde täglich abfinden, sofort ein Betrug? Wohl nicht, selbst wenn mancher Kunde seine Kaufentscheidung tatsächlich auf solch fragwürdige Informationen stützen mag. Fakt ist: Täuschungen, seien es auch kleine, sind im Geschäftsleben allgegenwärtig. Erfolgreiche Werbung informiert mitunter bewusst ungenau, weckt aber gewollt Emotionen. Hat die Bloggerin nicht letztlich nur dasselbe getan? Davon mag man halten, was man will. Doch sicherlich ist eine gewisse emotionale Beeinflussung von Kaufentscheidungen nicht stets ein Fall für die Staatsanwaltschaft.

Das „scharfe Schwert“ des Strafrechts, so die Grundidee unseres Betrugstatbestands, ist nur erforderlich, wenn Kunden im Geschäftsleben auch finanziell geschädigt werden. Enthielte das Glas mit dem Brotaufstrich etwa deutlich weniger Inhalt, als angegeben, bekäme der Kunde also bei wirtschaftlicher Betrachtung keine angemessene Gegenleistung für sein Geld, er würde betrogen. Wird er hingegen nur über gesunde Eigenschaften oder Wirkungen getäuscht, liegt der Fall im Grundsatz anders.

Eine Strafbarkeit könnte im vorliegenden Fall gleichwohl zu begründen sein, weil die Bloggerin entgegen ihrer Behauptung nur einen Bruchteil der Einnahmen für wohltätige Zwecke gespendet hat. Unter dem Stichwort der „sozialen Zweckverfehlung“ hat der Bundesgerichtshof in Ausnahmekonstellationen einen Betrugsschaden auch dann angenommen, wenn Gelder nicht für den angegebenen sozialen Zweck verwendet wurden. Voraussetzung ist aber stets, dass der Abschluss des Geschäfts entscheidend durch den sozialen Zweck motiviert war. In anderen seltenen Konstellationen hat die Rechtsprechung auch mitunter einen „normativen“, d.h. wertungsmäßigen Schaden anerkannt. Im Grundsatz bleibt es aber dabei: Der Betrug ist ein streng nach wirtschaftlichen Maßstäben zu betrachtendes Delikt.

Nun waren die von der Bloggerin vermarkteten Produkte zumindest objektiv ihr Geld wert. Und die Ankündigung, einen Großteil der Einnahmen zu spenden, dürfte im Großen und Ganzen wohl nur mitursächlich für die Kaufentscheidung gewesen sein. Stattdessen kam es den meisten Kunden sicherlich darauf an, mit den Produkten auch an der vermeintlich dahinter stehenden Geschichte teilzuhaben. Doch liegt darin ein anerkennenswerter sozialer Zweck, der verfehlt wurde? Rechtfertigen sich daraus die Entfernung von jedweder wirtschaftlichen Betrachtung und die Annahme eines wertungsmäßig bedingten (Vermögens-)Schadens? Zweifellos gäbe es Argumente für beide Sichtweisen. An dieser Stelle ist die Frage jedenfalls nicht eindeutig zu beantworten.

„Betrug“ ≠ Betrug

In Fällen wie dem geschilderten ist rasch von „Betrug“ die Rede. Sicher ist nur: So einfach ist das nicht. Zumindest wäre eine Strafbarkeit der Bloggerin nach deutschem Recht fraglich.

Der deutsche Betrugstatbestand ist hoch komplex. Demgemäß ist die Vorschrift auch Gegenstand einer vielfältigen Rechtsprechung. Dabei entspricht die Anwendung des Tatbestands nicht immer dem Rechtsempfinden Außenstehender. Darum sieht man sich – gerade im Wirtschaftsleben – auch rasch mit halbgaren Betrugsvorwürfen sowie (nicht selten) entsprechenden Ermittlungsverfahren konfrontiert. Dazu braucht es oft nicht viel: Mitunter genügen die Nichtbezahlung von bestellten Waren, eine Auseinandersetzung unter Geschäftspartnern oder ein Streit um ein Arbeitsverhältnis. Wer sich also Betrugsvorwürfen versieht oder eine Strafanzeige erwägt, sollte nicht zu Schnellschüssen neigen. In jedem Fall sollte der Sachverhalt unter Zuhilfenahme fachkundiger Berater gewissenhaft aufgearbeitet werden, um wertvolle Ressourcen zu schonen sowie zielgerichtet und effektiv vorgehen zu können.