Das Vereinigte Königreich eilt voran – Compliance wird zur quasi-strafbewehrten Pflicht

von | 3. Juni 2017 | Compliance & Unternehmenssicherheit

Im April 2017 hat im Vereinigten Königreich ein neues Gesetz die sog. Königliche Zustimmung erhalten: Der „Criminal Finances Act 2017“ ist damit formal verabschiedet und soll bis September 2017 in Kraft treten. Das Gesetz enthält gleich mehrere Neuerungen, die die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität maßgeblich beeinflussen und Strafbarkeitsrisiken im unternehmerischen Bereich erheblich ausweiten. Angesichts der weitreichenden extraterritorialen Wirkung müssen nun auch deutsche Unternehmen prüfen, ob Geschäftsverbindungen ins Vereinigte Königreich es gebieten, Anpassungen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang liegt besonderes Augenmerk auf zwei bemerkenswerten Regelungskomplexen, die der „Act“ mit sich bringt.

Zu nennen sind zunächst die sog. Unexplained Wealth Orders (UWOs), die neu eingeführt werden. Der gerichtliche Erlass einer solchen Verfügung verpflichtet den Betroffenen künftig, binnen bestimmter Frist detaillierte Informationen über Vermögenswerte offen zu legen, die dem Anschein nach in einem disproportionalen Verhältnis zu seinen Einkommensverhältnissen liegen. Damit nicht genug: Liefert der Betroffene innerhalb der festgesetzten Frist keine oder keine zufriedenstellende Erklärung, greift eine Vermutung, wonach die Vermögenswerte als inkriminiert gelten und im Rahmen der schon bestehenden Instrumentarien vom Staat abgeschöpft werden können.

Angesichts der Schärfe dieser Regelung, die die gemeinhin geltenden Vorstellungen von der Nachweislast strafbarer Handlungen praktisch ins Gegenteil verkehrt, sind die Voraussetzungen einer UWO überraschend gering. Der Wert der betroffenen Vermögensgegenstände muss mindestens GBP 50.000,00 betragen. Daneben muss lediglich ein vernünftiger Anlass für die Annahme bestehen, dass die bekannten Einkommensquellen des Betroffenen für Erwerb und Unterhalt der Vermögensgegenstände nicht ausreichen. Zusätzlich muss der Betroffene entweder eine politisch exponierte Personen sein oder im begründeten Verdacht stehen, in kriminelle Handlungen verwickelt zu sein.

Wird all dies – z.B. bezüglich einer Immobilie – bejaht, erlässt das Gericht auf behördlichen Antrag die UWO. Der Betroffene hat dann binnen bestimmter Frist u.a. Art und Ausmaß seiner Beteiligung darzulegen, Treuhandverhältnisse offen zu legen, über Einzelheiten des Eigentumserwerbs aufzuklären und darüber zu berichten, mit welchen Vermögensmitteln welcher Herkunft Erwerb und Unterhalt bestritten wurden. Die Behörde prüft dann binnen 30 Tagen, ob die mitgeteilten Informationen ausreichen oder weitere Maßnahmen bis hin zur Abschöpfung der Vermögenswerte ergriffen werden.

Der zweite bemerkenswerte Komplex betrifft die Schaffung einer neuen Unternehmensstraftat: „failure to prevent facilitation of tax evasion“. Danach werden künftig Unternehmen sanktioniert, die es versäumt haben, die Erleichterung von Steuerhinterziehung effektiv zu verhindern.

Der Straftatbestand hat drei wesentliche Elemente: Zunächst braucht es die Begehung einer Steuerhinterziehung durch eine natürliche oder juristische Person. Daneben muss diese Steuerhinterziehung durch einen Angehörigen des Unternehmens zumindest erleichtert worden sein, worunter steuerliche Beratung und Vertretung ebenso fallen, wie die Beschaffung finanzieller Mittel oder die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur. Schließlich muss das Unternehmen darin versagt haben, eben diese Erleichterung effektiv zu verhindern. Entscheidend ist, dass beide Handlungen – also die Steuerhinterziehung und deren Erleichterung – praktisch überall auf der Welt begangen werden können. Das dafür zu bestrafende (Beratungs-)Unternehmen muss lediglich einen ausreichenden Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, der schon dann vorliegt, wenn dort eine Niederlassung unterhalten wird oder auch nur geschäftliche Aktivitäten (z.B. Warenlieferungen) stattfinden.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann (und muss) sich das Unternehmen nur durch das Argument verteidigen, dass angemessene Vorkehrungen getroffen worden seien, derartiges Verhalten zu verhindern. Als in diesem Sinne ausreichend gilt aber nur der Nachweis solcher Präventionsverfahren, die alle vernünftigerweise vorhersehbaren Verhaltensweisen von Unternehmensangehörigen antizipieren. Anderenfalls hätte das Unternehmen den (praktisch wohl kaum jemals möglichen) Nachweis zu erbringen, dass der konkrete Fall unter keinen Umständen vernünftigerweise hätte vorhergesehen werden können.

Auffällig ist die äußerst weite extraterritoriale Anwendbarkeit der Strafvorschrift, die durch das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit von Steuerhinterziehung und deren Erleichterung kaum merklich eingegrenzt wird. Darum muss sich auch für deutsche Unternehmen, die einen geschäftlichen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, die Frage stellen, wie Compliance-Prozeduren auszusehen haben, um im Ernstfall als Verteidigungsargument gelten zu können.

Einen Anhaltspunkt könnte ein von der Britischen Steuer- und Zollbehörde veröffentlichter Leitfaden sein, der allerdings den UK Bribery Act aus dem Jahr 2010 betraf – ein Antikorruptionsgesetz von (ebenfalls) außergewöhnlicher Tragweite. Auch dort ist geregelt, dass Unternehmen durch adäquate Compliance-Maßnahmen einer Sanktionierung entgehen können. Die Behörde schlägt hierzu ein mehrstufiges System vor, das mit einer Risikobeurteilung beginnt. Auf dieser Grundlage sollen dann klare, praktische und risikoorientierte Präventionsrichtlinien implementiert werden, zu deren Einhaltung alle Unternehmensangehörigen durch die Führungsebene zu verpflichten sind. In der Folge sollen die Vorgaben angemessen kommuniziert, Schulungen abgehalten, die Einhaltung überwacht und regelmäßige (externe) Überprüfungen durchgeführt werden.

Die Anforderungen an ausreichende und damit im Ernstfall strafbarkeitsausschließende Compliance sind also durchaus hoch. Entscheidend wird wohl sein, dass betroffene Unternehmen Verfahren einführen, die genau demjenigen Risiko gerecht werden, das die konkrete Geschäftstätigkeit mit sich bringt. Die wichtige Aufgabe, genau dieses Risiko treffsicher zu eruieren und ein individuell angepasstes Compliance-System zu entwerfen sowie nachzuhalten, sollte in die Hände fachkundiger Berater gegeben werden. Sicher ist: Unternehmen, deren Tätigkeit im Zusammenhang mit der Erbringung von steuerlichen Dienstleistungen steht, können sich fehlende oder mangelhafte Compliance nicht (mehr) erlauben.