Tabakeinfuhr aus (Ost-)Europa – Das Märchen von der Freimenge

von | 26. April 2018 | Allgemein, Strafverteidigung

Wie viele Zigaretten darf man steuerfrei aus dem EU-Ausland nach Deutschland einführen? Wahrscheinlich gibt es nicht wenige, die glauben, die Antwort zu kennen: 800 Zigaretten bzw. vier Stangen, das ist die geltende Freimenge. Zumindest hört man das immer wieder. Doch stimmt das wirklich? Gibt es überhaupt eine Freimenge? Oder darf man womöglich auch so viele Zigaretten mitbringen, wie man möchte? Die Antwort wird viele überraschen: Ja, man darf – zumindest theoretisch. Dieser Beitrag soll Klarheit schaffen.

Aus dem Leben

Der folgende Fall ist real und wiederholt sich wahrscheinlich jeden Tag dutzendfach an deutschen Grenzen:

Ein kettenrauchender Karlsruher besucht für ein paar Tage seine Mutter in Frankfurt (Oder). Während seines Aufenthalts nutzt er die Nähe zur polnischen Grenze, um Zigaretten zu kaufen und den Tank seines Autos mit preisgünstigem Benzin zu füllen. Im Tabakladen kauft er gleich eine ganze Kiste – Mengenrabatt. Darin sind zwölf Stangen, also 2.400 Zigaretten. An der Grenze dann eine Kontrolle: Die Beamten finden die Kiste im Kofferraum. Der Mann beteuert wahrheitsgemäß, er habe alle Zigaretten für sich gekauft. Trotzdem halten ihm die Beamten vor, er habe die „Freimenge“ für die „private Einfuhr“ von Zigaretten überschritten und leiten ein Steuerstrafverfahren ein. Vier Stangen belassen sie dem Mann, die restlichen acht werden beschlagnahmt.

Der Karlsruher nimmt sich einen Strafverteidiger. Einige Monate und eine schriftliche Stellungnahme später wird das Verfahren eingestellt. Denn der Mann hat – so das Ergebnis – nichts Unrechtes getan. Die beschlagnahmten acht Stangen werden ihm vom Zoll frei Haus geliefert – verbunden mit einem latent zickigen Hinweis der Behörde, dass er immer wieder mit Problemen rechnen müsse, wenn er beim Grenzübertritt zu viele Zigaretten dabei habe. Ihm sei deshalb zu raten, es künftig bei vier Stangen zu belassen und „ähnliche Sachverhalte“ zu vermeiden.

Rechtslage

Angesichts des Umstands, dass unser Raucher völlig legal gehandelt hat, verbleibt nach alledem ein gewisses Störgefühl. Doch wie ist denn nun die Rechtslage?

Nach § 22 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) sind Tabakwaren, die eine Privatperson für ihren Eigenbedarf in anderen Mitgliedstaaten der EU im steuerrechtlich freien Verkehr erwirbt und selbst in das deutsche Steuergebiet befördert, steuerfrei. Für die Beurteilung, ob Eigenbedarf vorliegt, soll es auf bestimmte Kriterien wie die Gründe für den Besitz, die Art der Beförderung und die Menge der Tabakwaren ankommen. In diesem Zusammenhang wird das Bundesministerium der Finanzen durch die Vorschrift ermächtigt, in einer Rechtsverordnung zu bestimmen, bei welcher Menge widerleglich zu vermuten sei, dass die Tabakwaren nicht für den Eigenbedarf bestimmt sind.

Diese Ermächtigung hat das Ministerium genutzt und die Tabaksteuerverordnung (TabStV) erlassen. Dort heißt es in § 39: „Werden mehr als 800 Zigaretten (…) zu privaten Zwecken in das Steuergebiet befördert, wird widerleglich vermutet, dass die Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet befördert werden“. Bei einer gewerblichen Einfuhr schreibt § 23 TabStG die Steuerpflicht vor. Zusammengefasst: Werden mehr als 800 Zigaretten eingeführt, wird die Gewerblichkeit und damit die Steuerpflicht widerleglich vermutet.

Richtwert = Freimenge?

Doch was bedeutet „widerleglich vermutet“? Ausnahmsweise genau das. Die Steuerpflicht wird nur vermutet. Die Vermutung kann widerlegt werden, indem der Betroffene darlegt, dass trotz der Mengenüberschreitung keine gewerbliche Einfuhr vorliegt. Bei den berühmten vier Stangen oder 800 Stück handelt es sich also bestenfalls um einen (die Vermutung auslösenden) Richtwert, nicht um eine Freimenge.

Rechtsdogmatisch ist allerdings durchaus auffällig, dass im Strafrecht – auch im Steuerstrafrecht – üblicherweise geltende Maßstäbe ins Gegenteil verkehrt werden. Die Unschuldsvermutung: Man gilt als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wird. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit: Niemand muss an der eigenen Strafverfolgung mitwirken oder sich aktiv entlasten, aus dem passiven Schweigen sind keine negativen Schlüsse zu ziehen.

Von diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen bleibt in dem hier interessierenden Zusammenhang nicht viel übrig. Das soll an dieser Stelle nicht bewertet werden. Doch in der Tat: Wer bei der – völlig legalen – privaten Einfuhr von mehr als 800 Zigaretten „erwischt“ wird, hat nur zwei Möglichkeiten. Entweder lässt er sich wegen der „vermuteten“ Steuerhinterziehung bestrafen, oder er wird aktiv und versucht, die Vermutung zu widerlegen. Hierzu muss er darlegen (nicht bloß behaupten!), dass es sich tatsächlich um eine private Einfuhr gehandelt hat und die Zigaretten für den Eigenbedarf bestimmt waren.

Nun bleibt die Frage, wie der mühevolle „Gegenbeweis“ zu führen ist und was unter dem Begriff des Eigenbedarfs zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist das Merkmal des Eigenbedarfs weit auszulegen. Beispielsweise kann er sogar dann (noch) vorliegen, wenn die Tabakwaren nicht selbst verbraucht, sondern nach der Einfuhr an Dritte weitergegeben werden (Beschluss vom 08.09.2011, Az. VII R 59/10). Ein allzu enges Verständnis, welches Eigenbedarf mit Eigenverbrauch gleichsetzt, hat das Gericht mit überzeugender Begründung abgelehnt. Dennoch verlaufen die Auseinandersetzungen mit den Zollbehörden zu dieser Thematik im Einzelfall regelmäßig kontrovers.

Was bleibt?

Zurück zum Fall: Glücklicherweise hatte der Raucher Erfolg und konnte der Behörde mit anwaltlicher Hilfe verständlich machen, dass die eingeführten zwölf Stangen nicht nur dem Eigenbedarf, sondern konkret sogar dem eigenen Verbrauch dienten. Das Verfahren wurde also zu Recht eingestellt. Doch ein Unbehagen bleibt.

Bei jedem neuerlichen Fall der (völlig legalen) Einfuhr von mehr als 800 Zigaretten wird der Raucher Gefahr laufen, wieder zum Beschuldigten zu werden. Eine praktische Möglichkeit, im Vorfeld für Rechtssicherheit zu sorgen, besteht kaum. Denn welche Reaktion wäre wohl zu erwarten, würde der Mann auf dem Hinweg nach Polen beim Zoll vorsprechen und Bescheid sagen, dass er gleich 2.400 Zigaretten steuerfrei einzuführen gedenkt? Mehr Schwierigkeiten, oder weniger?

Auch der Zoll scheint sich somit kaum bewusst gewesen zu sein, was eigentlich mit dem Rat gemeint ist, künftig „ähnliche Sachverhalte“ zu vermeiden. So folgt denn die Verbreitung des allgemeinen Irrglaubens bezüglich der „Freimenge“ auch innerhalb der Ermittlungsbehörden anschaulich aus dem Fallbericht. Denn das Vorgehen der Kontrollbeamten war in jedem Falle falsch. Wenn vorliegend nämlich wegen des Überschreitens der Richtmenge eine (wie dann vermutet) gewerbliche Einfuhr vorgelegen hätte, wären alle Stangen zu versteuern gewesen. Demgemäß hätten bei Einleitung des Steuerstrafverfahrens folgerichtig auch alle Stangen beschlagnahmt werden müssen, anstatt unserem Raucher die vermeintliche „Freimenge“ von vier Stangen zu belassen.

Insgesamt zeigt sich also, dass es (leider) systembrüchige Konstellationen gibt, in denen der Betroffene strafrechtliche Vorwürfe aktiv zu widerlegen hat, während sich die Ermittlungsbehörden auf fragwürdigen Vermutungen ausruhen dürfen. Ebenso wird aber deutlich, dass trotz bedrohlicher Kontrollsituationen das sprichwörtliche Kind oft noch lange nicht in den Brunnen gefallen ist. Stattdessen lohnt es nahezu immer, sich auch von scheinbar erdrückenden Vorwürfen nicht allzu schnell beeindrucken zu lassen und sich mit fachkundiger Unterstützung zu wehren.