Zwischenerfolg für Autobauer im „Dieselskandal“ – Ermittler dürfen Akten von VW-Kanzlei vorerst nicht auswerten

von | 12. Februar 2018 | Compliance & Unternehmenssicherheit, Internal Investigations, Strafverteidigung

Die Staatsanwaltschaft München darf Akten, die bei der von Volkswagen mit internen Ermittlungen zur „Dieselaffäre“ beauftragen Kanzlei Jones Day beschlagnahmt wurden, vorerst nicht auswerten. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht bereits im Sommer letzten Jahres im Eilverfahren. Im Januar 2018 hat das Gericht die Untersagung nochmals verlängert. Die ursprüngliche Anordnung wurde damals mit außerordentlichem Interesse aufgenommen, erging sie doch zu einer umstrittenen (Grundsatz-)Frage: Inwieweit sind Unterlagen aus internen Ermittlungen in Deutschland vor staatlichem Zugriff geschützt? Unternehmen sollten die weitere Entwicklung und vor allem die bevorstehende endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daher mit Spannung erwarten.

Unternehmensinterne Ermittlungen „boomen“

Interne Ermittlungen („Internal Investigations“) sind inzwischen fester Bestandteil im deutschen Unternehmensalltag. Liegen dem Management Hinweise auf Rechtsverstöße vor, so gehört es inzwischen zur „Corporate Governance“, diese Vorwürfe aufzuklären. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist dazu sogar gesetzlich verpflichtet. Teilweise führen Unternehmen die Untersuchungen selbst durch, in der Regel werden aber externe Berater – häufig spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien – beauftragt. Werden Ermittlungsbehörden hierbei frühzeitig eingebunden, lassen sich oft nicht nur strafprozessuale Zwangsmaßnahmen vermeiden, sondern häufig auch Ermittlungsverfahren im allseitigen Einvernehmen konstruktiv erledigen.

Der Markt für die ursprünglich aus den USA stammenden Internal Investigations „boomt“ mittlerweile auch in Deutschland. Trotzdem sind viele Einzelaspekte aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen nach wie vor ungeklärt. Dies gilt insbesondere für den nicht seltenen Fall einer eigentlich ungewollten Eskalation: Dürfen Ermittlungsbehörden die Räume der beauftragten Kanzleien durchsuchen und die bei den internen Ermittlungen erarbeiteten Unterlagen beschlagnahmen oder gilt – wie in den USA – ein umfassender Schutz der anwaltlichen Arbeitsprodukte vor staatlichem Zugriff?

Razzien bei Jones Day

Im September 2015 wurde erstmals öffentlich bekannt, was seitdem Politik, Wirtschaft und Justiz beschäftigt: Die Volkswagen-AG soll über Jahre hinweg illegale Abschalteinrichtungen in den Motoren ihrer Dieselfahrzeuge verwendet haben, um Abgasnormen zu umgehen. Anlässlich der zuerst in den USA eingeleiteten Ermittlungsverfahren beauftragte der Autobauer die US-Kanzlei Jones Day, den Fall intern aufzuarbeiten. Deren Rechtsanwälte – darunter auch solche aus dem Münchener Büro der Kanzlei – sichteten in der Folge konzernweit eine kaum vorstellbare Vielzahl von Dokumenten und führten über 700 Interviews mit Mitarbeitern durch.

Mittlerweile wird der „Abgasskandal“ auch von deutschen Behörden aufgearbeitet. Neben der Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt u.a. die Staatsanwaltschaft München in demselben Zusammenhang gegen Verantwortliche der Audi-AG. Im Rahmen dieser Ermittlungen ließ die Staatsanwaltschaft im März 2017 mehrere Audi-Standorte sowie die Münchener Kanzleiräume von Jones Day durchsuchen. Das heikle daran: Natürlich ging es den Behörden vor allem auch um die Unterlagen aus der internen Ermittlung, mittels derer eine solche Eskalation eigentlich hätte verhindert werden sollen.

Die Ermittler stellten zahlreiche Unterlagen und Daten mit Ergebnissen der Internal Investigation sicher, um diese für Ermittlungszwecke auszuwerten. Mehrere Beschwerden des Autobauers und der Kanzlei waren erfolglos. Daraufhin ging die Sache im Wege der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Gleichzeitig wandte sich die Kanzlei im Eilverfahren gegen die Auswertung der sichergestellten Unterlagen und beantragte, diese wenigstens bis zur endgültigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Diesem Antrag hat das Bundesverfassungsgericht stattgegeben.

Worum geht es eigentlich?

Anders gefragt: Warum sind der Autobauer und seine Anwaltskanzlei mit ihren Beschwerden zunächst gescheitert, obwohl das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant gemeinhin einem besonderen Schutz unterliegt? Die Antwort ist komplex.

Der Gesetzgeber der Strafprozessordnung hatte vor allem das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten im Blick. So steht dem Anwalt bezüglich der ihm vom Beschuldigten anvertrauten Informationen grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO zu. Die §§ 97 und 160a StPO verbieten parallel dazu die Beschlagnahme von Anwaltskorrespondenz und Verteidigungsunterlagen. Allgemein darf der Mandant seine Informationen in den Händen des Anwalts also sicher wissen. Allerdings ist die Strafprozessordnung ein sehr altes Gesetz, ihre erste Fassung stammt aus dem Jahr 1877. Demgemäß liegt ihren Vorschriften ein „klassisches Bild“ der Strafverteidigung zugrunde, moderne Erscheinungen wie „Internal Investigations“ hatte der historische Gesetzgeber hingegen nicht vor Augen. Diese Ausgestaltung hatte in jüngerer Vergangenheit zur Folge, dass unterschiedliche Landgerichte (z.B. in Hamburg, Mannheim und Braunschweig) die Frage nach der Beschlagnahmefähigheit unterschiedlich beantworteten. Wir hatten darüber berichtet. Die Staatsanwälte vertraten hierbei oft die Ansicht, dass nur die Vertrauensbeziehung zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger umfassend geschützt sei. Volkswagen könne als Unternehmen aber gerade nicht „Beschuldigter“ eines Strafverfahrens sein. Denn anders als in den USA gibt es in Deutschland (noch) kein Unternehmensstrafrecht. Und zwischen internen Ermittlern und interviewten Mitarbeitern bestehe gar kein schützenswertes Mandatsverhältnis.

Diese Auffassung wurde seit jeher – zu Recht – als formalistisch und der heutigen Rechtswirklichkeit nicht mehr angemessen kritisiert. Zwar können Unternehmen tatsächlich nicht Beschuldigte eines Strafverfahrens sein. Es drohen aber immerhin empfindliche Geldbußen nach den §§ 30 und 130 OWiG, wenn etwa Aufsichtspflichten verletzt wurden. Auch in der Dieselaffäre müssen die betroffenen Autohersteller mit erheblichen Geldbußen rechnen. Die befragten Mitarbeiter könnten zudem persönlich beschuldigt werden. Genau diese Vorgänge umfassend aufzuklären, war Sinn der Tätigkeit von Jones Day, die also gerade auch dem Zweck diente, für eine etwaig notwendige Verteidigung die Weichen zu stellen. Dann aber spräche viel dafür, in den dabei gewonnenen Unterlagen „echte“ Verteidigungsunterlagen zu sehen, die zumindest verfassungsrechtlichen Schutz genießen.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht verschaffte dem Autobauer und seinen Anwälten nun eine Verschnaufpause. Allerdings entscheidet das Gericht im Eilverfahren nicht in der Sache. Eine endgültige Klärung der Rechtsfrage ist der Entscheidung also nicht zu entnehmen. Die Richter wägten stattdessen nur die Folgen ab, entschieden insofern aber gegen die Staatsanwaltschaft: Dürften die Ermittler die Unterlagen jetzt schon auswerten, dann entstünde – so das Gericht – ein möglicherweise irreparabler Vertrauensverlust im Mandatsverhältnis. Auch andere Mandanten, die um ihre Geschäftsgeheimnisse fürchten, könnten ihre Aufträge dann zurückziehen. Zudem erhielten die Ermittler irreversiblen Zugang zu den persönlichen Daten unbeteiligter Dritter, insbesondere von Mitarbeitern des Autobauers. Gemessen an diesen Gefahren wiege eine bloße Verzögerung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hingegen nicht so schwer. Irreversible Folgen, vor allem ein Beweisverlust, seien hierdurch nicht zu besorgen.

Fazit und Ausblick

Auch wenn die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erst noch bevorsteht, darf die (jüngst nochmals verlängerte) Eilentscheidung zumindest als Etappensieg mit gewisser Aussagekraft gewertet werden. Denn wäre die noch offene Verfassungsbeschwerde in den Augen der Richter von vorneherein aussichtslos, wäre auch die Eilentscheidung weder ergangen, noch gar verlängert worden. Sie zeigt also durchaus, dass die komplexe Rechtsfrage nicht ohne weiteres zu beantworten ist und sich die Richter mit der Rechtsposition interner Ermittler ausführlich auseinanderzusetzen gedenken.

Die endgültige Entscheidung sollten Unternehmen daher mit besonderem Interesse erwarten. Sie dürfte für den boomenden Markt der „Internal Investigations“ richtungsweisend werden und könnte – auch für die Einordnung von Ombudspersonen – die nachhaltige Klärung umstrittener Rechtsfragen mit sich bringen.

Schon jetzt ergibt sich aber eine Reihe ratsamer Erwägungen für die Praxis: So sollten Entscheidungsträger vor Beginn einer internen Ermittlung in jedem Fall die konkrete Reichweite des Untersuchungsauftrages sowie etwaige bußgeldrechtliche Implikationen klarstellen und nicht zuletzt fachkundige Ermittler auswählen, die neben dem ermittlungstechnischen „Handwerk“ die strafprozessualen Rahmenbedingungen kennen und ständig im Blick behalten. Und droht dennoch einmal der staatliche Zugriff, gilt es natürlich, konsequent dagegen vorzugehen.